Sonntag, 27. September 2020

sechs - Ziellos

"This World is beautiful and so am I.  I still hate myself."

An manchen Tagen fällt es mir schwer mich selbst zu ertragen. Seit Monaten habe ich das Gefühl nicht mehr ich selbst zu sein. Nicht mehr real zu sein.

Umgeben von Stress und Unruhe, wenngleich das einzige was ich will die Stille ist. Doch ist sie dann da, die endlose stille, dann ertrage ich sie nicht und fülle meine Zeit mit nutzlosen Dingen. Schaue stundenlang Youtube Videos auf einem kleinen Smartphone Bildschirm und wandle wie ein Zombie durch den Tag. 

Am Abend dann erwachen. Verzweiflung bricht über mir ein. 

Wieder ein weiterer Tag verschwendet mit belanglosen Lückenfüllern. Mit Dingen die mir nichts geben außer andauernder Beschallung. Am Ende dient es nur einem Zweck: Ablenkung. 

Ablenkung davor das ich schon lange nicht mehr weiß, was ich mit meinem Leben machen soll.


Ziellos. 

Wandere Ziellos umher. 

Auf der Suche nach mir selbst. 

Ziellos. 

In einem Universum, 

nicht gemacht für Ziellose. 

Freitag, 25. September 2020

fünf - Abgrund

Abgrund. Ein Spalt reißt vor mir auf. Mein Blick gleitet über meinen Körper, hinab auf den Boden. Sparre den Riss an, dieser den Halt vor mir zunichte entzweit. Fühle mich hilflos. Wege die ich gehen wollte sind auf einmal unerreichbar. Unmöglich sie jemals wieder zu beschreiten. Der Abgrund vor mir spiegelt wieder wie sich mein inneres selbst fühlt. Das kleine Mädchen, welches ich 2012 in einer Flaschenpost im Rahmen der Therapie mitsamt allen Sorgen von mir schob, steht nun vor einem Abgrund. Sie weiß nicht mehr wie ihr geschieht. Weiß nicht wohin mit sich selbst. Weiß nicht welchen Weg sie einschlagen, geschweige denn welche Entscheidungen sie treffen soll. Ausweglos. Der Abgrund versperrt jegliche Perspektive und lässt sie in alte Verhaltensmuster fallen. 

Verliere mich. Taubheit macht sich in mir breit. Das Gehör verstopft und macht unempfänglich für Außenreize. Dann wieder ein kurzes erwachen. Stehe vor dem Badezimmerspiegel. Sehe in meine Augen. Tiefblau und ausdruckslos starren sie mich an. Spiegeln mich selbst wieder. Wut. Plötzlich ist sie wieder da und überfällt mich. Mit ihr einhergehend der immer gleiche Hass. Stütze mich am Waschbecken ab. Handknöchel werden weiß vom Umklammern des kalten Gesteins. Der Schalter kippt. Wippe auf meinen Füßen auf und ab. Tränen steigen auf. Brechen heraus. 

Der letzte Ausweg. Lässt die Gefühle verstummen. Speiseröhre brennt. Augen rot unterlaufen und mit Tränen gezeichnet. In dem kleinen Raum umgibt mich ein beißender Geruch. So mancher würde ihn nicht ertragen können, doch für mich fühlt es sich ein bisschen so an als würde ich wieder an Kontrolle dazu gewinnen. Kontrolle, ein Wort welches ich lange nicht mehr benutzte. Insbesondere nicht in Verbindung mit mir selbst. Ich war Buchstäblich außer Kontrolle. In jeglichen Bereichen meines Lebens. Und doch fühlt sich dieser Tag so an als würde ich endlich wieder zu dem Menschen werden, der ich gerne war. Die Lee von 2014. Mein eigenes Ich - welchem ich noch immer seit Jahren hinterher hechte. Der einzige Grund für diese Gefühle ist eigentlich, das ich sie vermisse. Das ich mich selbst vermisse, die Menschen vermisse diese zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben waren. Ich vermisse das unaufhaltsame Gefühl von Neubeginn und den Geruch von Abenteuer, denn genau das war das Jahr 2014 für mich. 

Es war ein Neubeginn voller Ungewissheit und so sehr ich Ungewissheit auch hasste, war sie das was ich wirklich brauchte. Brauchte um die Lee von heute zu werden. "Ich bin alt geworden." - Mein Signature Satz. Wer mich kennt weiß, das mir dieser Satz öfter mal über die Lippen huscht. 

Immer wieder ist es eine Erkenntnis die mich erschüttert. 

Damals dachte ich, dass  ich niemals auch nur Annähernd achtzehn Jahre alt werden würde und doch sitze ich heute hier, bin zweiundzwanzig Jahre alt und wünschte manchmal ich hätte diese Zahl niemals erreichen müssen. 


Abgrund, ein Spalt reißt in die Erde unter meinen Füßen.

Die einzige Frage die sich mir seit Jahren stellt: 

Fallen oder fliegen.


Dienstag, 22. September 2020

vier - Taucherglocke

Der bittere Nachgeschmack von Unglück macht sich breit. 

Riecht leicht verbrannt. Als hätte jemand meine Seele in heiße Glut geworfen. Starre Wände an, sie starren zurück. Sie schreien mir wütend entgegen. „Verschwinde.“ Suche ein Schlupfloch für diesen Alltag, für dieses Leben. 

Würd‘ so gern die Sonne sehen und nicht nur ihre Untergänge. 

Mich lebendig fühlen und im Regen tanzen. 

Deine Hand, fest in meiner. Sehnsucht. 


Wunsch danach ein einziges Mal geliebt zu werden. 

Doch das einzige was ich wahrhaftig liebe ist die Einsamkeit. 

Treuer Begleiter. Hassliebe. 

Beißt sich mit dem Wunsch nach Herzklopfen bis zum Hals 

und Funkenfeuer in der Luft. 


Will nochmal alles aufgeben für jemanden. 

Einmal nicht verlassen werden, wenn es schwierig wird. 

Eine Seele die bleibt. Auch an den schweren Tagen. 

Würd so gern nochmal für dich alles geben und dein alles sein. 


Doch Wellen brechen an deiner Eiseskälte ab. 

Herzen zerspringen und Seelen fangen selbst bei Minusgraden Feuer. 

Die Luft zum Atmen wird immer geringer, mit jeder Sekunde schwindet sie. Taucherglocke wiegt schwer auf meinen Schultern. 

Die Vergangenheit trage ich in Stein gemeißelt, gebunden an meine Füße. 

Sie lässt mich ertrinken. 

Seit langer Zeit, das erste mal. 

Und hoffentlich auch das letzte.. 


Taucherglocke. 

Fluch und Segen zugleich.


Donnerstag, 17. September 2020

drei - Für Omi

"Ich hab’s geliebt mit ihr auf dem alten Balkon zu sitzen und die Menschen zu beobachten die sich auf dem großen Parkplatz vor unserem Zuhause umher trieben. Habe es geliebt wenn wir gemeinsam Malbücher ausgemalt haben. 

Immer in kreisenden Bewegungen, denn so geht es viel besser und die Buntstifte hinterlassen keine Linien. 


Omi war taff, stark und ehrlich, manchmal einen Hauch zu ehrlich. 

Aber nie gemein. Sie hat die Menschen, die sie geliebt hat immer um sich haben wollen. Hat viel über ihre Schulzeit gesprochen und Freunde die sie hatte. 

Viel über das Restaurant, das sie einst führte und Geschichten aus ihrem Leben als Wirtin erzählt. Kräuterschnaps, den konnte sie trinken wie niemand sonnst. Sie war für meinen Dad und seine Schwester die beste Mutter, hat beide geliebt, mehr geliebt als sich selbst. 


Omi war immer für einen Rat da. War die erste Frau in meinem Leben die Konstant war. Klar in ihren Ansichten, klar in ihren Standpunkten. 

Sie hat mir Werte vermittelt wie niemand sonnst. 

Sie hat mit mir stundenlang K11, Niedrig & Kuhnt, Lenßen & Partner sowie Richterin Barbara Salesch auf ihrem alten Fernseher geschaut. 

Immer bereit dazu mitzurätseln und sie konnte jeden Mordfall lösen, 

noch bevor irgendwer eine Ahnung hatte worum es ging. 

Sie war so selbstlos, das sie selbst meine Rap - Musik ertrug. 


Doch dann wurde Omi älter und sie wurde vergesslich. 

Sah dem Feind der sich unwiederbringlich auflösenden Erinnerungen ins Gesicht und selbst hier hielt sie den Kopf aufrecht - zumindest die meiste Zeit. 

Omi hat mir gezeigt was die bedingungslose Liebe einer Mutter ist. 

Hat mit mir Kuchen gebacken und Bücher gelesen. 

Hat mehr Kreuzworträtsel gemacht, als jeder Mensch den ich kenne und 

wusste immer auf jedes Rätsel eine Lösung. 

Denn Sie war nie ein Problem, sie war die Lösung. 

Sie war Anker, Halt und Zuversicht für jeden - 

den sie umgab und deshalb liebte man sie. 



Ein Zitat aus meinem Lieblingsfilm lautet: 


„Ich war zu dem Schluss gekommen, das Beerdigungen nicht für die Toten waren, sondern für die Lebenden." 


"Funerals, I've decided, are not for the dead. They are for the living."



Also möchte ich, das ihr nach vorne blickt, einen Kräuterschnaps trinkt 

und ab und an freudig in Erinnerungen schwelgt. 

Dankeschön."



Sonntag, 6. September 2020

zwei

Der Herbst kommt näher. Mit jeder Faser meines Körpers kann ich ihn spüren. Der kalte Wind berührt vorsichtig meine Haut und legt sich unter die Kapuze meines Hoodies. Es ist 4.28 Uhr und ich wandere durch die verschlafenen Straßen meines Zuhauses. In der linken Hand trottet, leicht verschlafen mein Hund neben mir her. Seine gleichmäßigen Schritte beruhigen und durchbrechen die stille der Nacht. Nachdenken. Ruhe finden. Innere Ruhe, nur dieser Moment. 

In den letzten Wochen und Monaten ist vieles passiert. Einiges davon noch immer in Bearbeitung. Aber, wo fange ich an? 

Meine Mom, die einst immerzu darauf bedacht war ihr wahres selbst niemals in die Öffentlichkeit zu bringen, versendete nun Briefe von einem Anwalt mit Wahnvorstellungen darin. Sie implizieren Gewaltandrohungen, Vorwürfe und Lügen. Sie machen deutlich wie tief sie diese Krankheit nach all den Jahren beherrscht. Für mich nichts neues. Doch die Außenwelt ist teils erschüttert. Niemals hätte man damit gerechnet, das sie auch andere Menschen als mich und meinen Dad angreifen würde und doch tat sie es nun. Ich lernte eins sofort. Menschen helfen erst dann, wenn sie selbst involviert sind. Wenn es um sie geht, können sie die Augen plötzlich nicht mehr verschließen. Müssen dem Leid gezwungenermaßen in die Augen sehen. Sie Leiden. Und nehmen mir Leid ab. Meine Tante leitete rechtliche Schritte in die Wege. Das führte uns soweit, das wir einen Beratungstermin bei ihrem Anwalt wahrnahmen der mit uns einen Fahrplan erarbeitete. Der einzige Weg meiner Mom in diesem Leben helfen zu können wäre, rein rechtlich gesehen, ein gesetzlicher Betreuer für Gesundheit und Finanzen. 

Also entschieden wir uns dazu dies zu beantragen. An einem Donnerstagabend versammelten wir uns bei meiner Tante und versuchten all die wirren Dinge der Jahre zu sortieren und auf Papier zu bringen. Nicht das ich darin schlecht wäre, aber es viel schwer. Es ist schwer darüber zu sprechen. Selbst dann, wenn ich begreife, das ich seit dem 10.11.2014 nicht mehr bei ihr lebe. Fast sechs Jahre. Doch auch sechs Jahre reichen nicht aus um zu vergessen. Wir sitzen an einem langen Tisch, alle erzählen ihre Erinnerungen und ich sitze da. Plötzlich sind alle Augen auf mich gerichtet und sie erwarten das ich erzähle. Ein Gefühl ausgeliefert zu sein macht sich in jeder Zelle meines Körpers breit. Mir wird übel. Ihre Augen starr auf meine Lippen gerichtet. Beginnen wir mit der Wahrheit. "Es fällt mir schwer darüber zu sprechen." sage ich, doch da bricht das ewige Tränenmeer schon aus mir heraus. In genau diesem Moment wurde es mir bewusst, vor Gericht muss man sprechen. Ich würde sprechen müssen. Panik macht sich in mir breit. Ein Tornado tobte in meinem inneren. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Das was wohl allen klar gewesen war und offensichtlich auf der Hand lag, würde mir in dieser Sekunde schmerzlich bewusst. Und ich begriff warum sie mich alle so ansahen. Ich war der Schlüssel. Die Wahrheit über meine Mutter direkt von mir zu hören würde das Gericht vielleicht soweit überzeugen. Das eigene Kind lehnt sich gegen die psychisch kranke Mutter auf. Das war es was sie wollten, während ich nur daran dachte mich in meinem Kokon zu verstecken. Eingehüllt. Ohne all diese Sorgen und Gedanken. In der Nacht nach diesem Gespräch schlief ich schlecht. Immer wieder hallten die Worte meiner Familie in meinem Kopf umher: "Du musst dich vorbereiten. Wir wissen das es nicht einfach für dich ist." Mittlerweile fühlte sich dieser ganze Antrag an, wie eine Raubtierfütterung und ich war das leblose Stück Fleisch, das man den Tieren zum fraß vorwarf. Dem Richter zum fraß vorwarf. War es all das Wert. Sollte ich mich, wieder einmal, opfern damit meine Mom die Chance auf ein besseres Leben bekam? 

Dieses eine mal würde ich mich selbst nicht Opfern. Ich beschloss, zu erzählen was mir möglich war. Einschätzungen abzugeben und auf Fragen zu antworten. Aber ich würde nie wieder, all die Wunden Öffnen, die ich gerade erst verschlossen hatte. 

Wie beschreibt man Jahre voller psychischer und physischer Gewalt. Wie beschreibt man es mehr erwachsen als Kind sein zu dürfen. Wie beschreibt man eine verwahrloste Wohnung und Alkohol in Kombination mit Müll an jedem noch so irrationalen Versteck. 

Wie beschreibe ich, was sie mir in all den Jahren alles genommen hat, wenn es doch nur eine Antwort gibt, die so simpel ist, das sie mich förmlich anspringt. Sie nahm mir mein Leben, meine Jugend und die Hoffnung. Nahm mir die Fähigkeit zu Vertrauen und ließ mich den Glaube an die Menschen verlieren. Aber am aller meisten ließ sie mich, meinen eigenen Glauben an mich selbst verlieren. Bei allem was ich in den letzten Jahren verloren habe ist das bei weitem der schlimmste Verlust. Mich selbst zu verlieren, gehörte zu dem Prozess und ich versuche noch immer mich irgendwo in all dem wieder zu finden. 

Doch das Gefühl ihr niemals entkommen zu können wird immer Stärker. Vor sechs Jahren dachte ich, dass ich mit der Flucht vor ihr nun endlich die Chance hätte auf ein Gewaltfreies Leben. Ich wollte mich nicht um sie kümmern, nicht an sie denken, nicht ihren Namen aussprechen. Wollte einfach vergessen. Und doch schaffte sie es, immer wieder, sich einen Weg zurück in mein Leben zu bahnen. Telefonterror, Sms. Anrufe von anderen Telefonen und bekannten Menschen, damit ich sie nicht wegdrückte. Sie nutzte jede Chance auf ein Gespräch und die Möglichkeit, mir wieder einmal zu sagen was für eine Versagerin ich bin. 

Schlussendlich weiß ich heute wer die wahrhaftige Versagerin ist.

Und soviel kann ich sagen, ich bin es sicherlich nicht. 

Doch auch dieses Wissen hält die Albträume nicht auf. Ich wach oft auf. Mitten in der Nacht und bin schweißgebadet. Immer mit dem Gefühl mein Herz würde mir gleich aus der Brust springen. Denn es hüpfte, jedoch nicht vor Freude. Atmen fällt schwer in solchen Momenten. Es ist die Angst, die mich auch heute noch am meisten Verfolgt. Wenngleich ich in den meisten Momenten mehr Freund als Feind mit der Angst bin. In den Momenten der unaufhaltsamen Hingabe, nämlich dann wenn man nicht mit ihr rechnet, überfällt sie einen. Raubt einem den Atmen und macht es schwer jemals wieder einzuschlafen. Manchmal helfen ätherische Öle, manchmal auch nur das Wissen eine Schlaftablette zu schlucken und darauf folgend endlich Schlaf zu finden. Deshalb bin ich müde. So oft, so müde. Müde vom Leben, vom Kämpfen und vom Reden. Die Aussicht darauf jemals wieder richtig wach zu werden bleibt vorerst aus.