Freitag, 25. September 2020

fünf - Abgrund

Abgrund. Ein Spalt reißt vor mir auf. Mein Blick gleitet über meinen Körper, hinab auf den Boden. Sparre den Riss an, dieser den Halt vor mir zunichte entzweit. Fühle mich hilflos. Wege die ich gehen wollte sind auf einmal unerreichbar. Unmöglich sie jemals wieder zu beschreiten. Der Abgrund vor mir spiegelt wieder wie sich mein inneres selbst fühlt. Das kleine Mädchen, welches ich 2012 in einer Flaschenpost im Rahmen der Therapie mitsamt allen Sorgen von mir schob, steht nun vor einem Abgrund. Sie weiß nicht mehr wie ihr geschieht. Weiß nicht wohin mit sich selbst. Weiß nicht welchen Weg sie einschlagen, geschweige denn welche Entscheidungen sie treffen soll. Ausweglos. Der Abgrund versperrt jegliche Perspektive und lässt sie in alte Verhaltensmuster fallen. 

Verliere mich. Taubheit macht sich in mir breit. Das Gehör verstopft und macht unempfänglich für Außenreize. Dann wieder ein kurzes erwachen. Stehe vor dem Badezimmerspiegel. Sehe in meine Augen. Tiefblau und ausdruckslos starren sie mich an. Spiegeln mich selbst wieder. Wut. Plötzlich ist sie wieder da und überfällt mich. Mit ihr einhergehend der immer gleiche Hass. Stütze mich am Waschbecken ab. Handknöchel werden weiß vom Umklammern des kalten Gesteins. Der Schalter kippt. Wippe auf meinen Füßen auf und ab. Tränen steigen auf. Brechen heraus. 

Der letzte Ausweg. Lässt die Gefühle verstummen. Speiseröhre brennt. Augen rot unterlaufen und mit Tränen gezeichnet. In dem kleinen Raum umgibt mich ein beißender Geruch. So mancher würde ihn nicht ertragen können, doch für mich fühlt es sich ein bisschen so an als würde ich wieder an Kontrolle dazu gewinnen. Kontrolle, ein Wort welches ich lange nicht mehr benutzte. Insbesondere nicht in Verbindung mit mir selbst. Ich war Buchstäblich außer Kontrolle. In jeglichen Bereichen meines Lebens. Und doch fühlt sich dieser Tag so an als würde ich endlich wieder zu dem Menschen werden, der ich gerne war. Die Lee von 2014. Mein eigenes Ich - welchem ich noch immer seit Jahren hinterher hechte. Der einzige Grund für diese Gefühle ist eigentlich, das ich sie vermisse. Das ich mich selbst vermisse, die Menschen vermisse diese zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben waren. Ich vermisse das unaufhaltsame Gefühl von Neubeginn und den Geruch von Abenteuer, denn genau das war das Jahr 2014 für mich. 

Es war ein Neubeginn voller Ungewissheit und so sehr ich Ungewissheit auch hasste, war sie das was ich wirklich brauchte. Brauchte um die Lee von heute zu werden. "Ich bin alt geworden." - Mein Signature Satz. Wer mich kennt weiß, das mir dieser Satz öfter mal über die Lippen huscht. 

Immer wieder ist es eine Erkenntnis die mich erschüttert. 

Damals dachte ich, dass  ich niemals auch nur Annähernd achtzehn Jahre alt werden würde und doch sitze ich heute hier, bin zweiundzwanzig Jahre alt und wünschte manchmal ich hätte diese Zahl niemals erreichen müssen. 


Abgrund, ein Spalt reißt in die Erde unter meinen Füßen.

Die einzige Frage die sich mir seit Jahren stellt: 

Fallen oder fliegen.


2 Kommentare:

  1. Ach Lee, deine Worte zerreißen mich... Du weißt, du kannst mich jederzeit erreichen! Ich sende dir ganz ganz viel Wärme und eine liebe Umarmung! ... ein Brief an dich geht die Tage auch raus.
    ❤️

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    1. Danke dir! Das bedeutet mir sehr viel! Bin immer für dich da und drücke dich ganz lieb zurück, love you <3

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